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Rezension

Die Gemeinschaft der Lüge.
Medien- und Öffentlichkeitskritik sozialer Bewegungen in der Bundesrepublik


Gottfried Oy: Die Gemeinschaft der Lüge. Medien- und Öffentlichkeitskritik sozialer Bewegungen in der Bundesrepublik, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2001, 292 S., 24,40 EUR

Dem kapitalistischen Patriarchat wohnt eine Tendenz zur Langeweile inne. Ob daraus zwangsläufig folgt, dass die Kritik von Kapital und Patriarchat auch langweilig sein muss, ist eine der Streitfragen kritischer Medienarbeit. Verströmen viele Blätter den morbiden Charme des Immergleichen, sind noch alle Versuche interessant zu wirken, im zwanghaften Tabubruch (wie etwa bei der taz der 80er Jahre) und der Reintegration vormals alternativer Medienprodukte in die Gesellschaft des Spektakels geendet. Im Zuge der Interneteuphorie gewinnen in den letzten Jahren Vorstellungen einer herrschaftsfreien Kommunikation und einer hierarchiearmen Vernetzung (alle senden, alle empfangen) neue AnhängerInnen. Gottfried Oy hat selbst als Redakteur der 1997 eingestellten Zeitschrift links des Sozialistischen Büros und seitdem als Mitarbeiter des Internetmagazins comunefarce Erfahrungen mit alternativer Medienarbeit gemacht. In seiner Dissertation setzt er sich nun mit den Medientheorien und -praxen sozialer Bewegungen der letzten Jahrzehnte auseinander. In einer Tour de force führt er die LeserInnen in die bekannteren theoretischen Grundlagentexte der linken und kritischen Medientheorie ein: Oy unterscheidet drei, selbstverständlich nicht scharf voneinander abgrenzbare Stränge der Auseinandersetzung: Die Manipulationsthese, die die Medienkonsumenten vor allem als Opfer von repressiver Manipulation ansieht. Hierzu zählt Oy etwa die Frankfurter Schule und die deutschen Versuche von Negt/Kluge und Enzensberger, aber auch feministische Kritik an androzentrischen Konzepten von Öffentlichkeit. Die These der Medien als Produzenten von Konsens wie sie etwa von AnhängerInnen der Cultural Studies (wie etwa Stuart Hall) vertreten wird, bildet den zweiten Approach, der schon aus einer Kritik am ersten Strang gebildet wurde. Den Cultural Studies geht es sehr stark darum, die Interpretationen und Deutungen die die EmpfängerInnen von Nachrichten diesen geben zu untersuchen. Sie untersuchen z.B. gemeinhin "trivial" genannte Formen von Massenkultur wie etwa Fernsehserien oder Billigromane und erklären deren Erfolg aus der Thematisierung von Problemen, die die LeserInnen oder Zuschauer haben und thematisiert sehen wollen. Den dritten Strang bilden die Netzwerktheorien, die aus einer gewissen technikdeterminierten Euphorie gegenüber den neuen Medien resultieren. Hier werde das klassische Bild der bürgerlichen Öffentlichkeit - jede und jeder darf reden (bzw. heute: senden) - wieder aufgewärmt, ohne zu thematisieren welche Ausschlussmechanismen dem Internet innewohnen. Im zweiten, umfangreichen Kapitel referiert Oy dann die Publikationspraxis der Linken der letzten Jahrzehnte von der heimatlosen Linken der 50er Jahre über APO und klassische Alternativbewegung bis hin zur zeitgenössischen Auseinandersetzung mit dem Internet. Hier finden sich die vielen Beispiel, die einem/einer einfallen, wenn von Gegenöffentlichkeit die Rede ist: Zeitschriften wie der Informationsdienst (ID), die radikal oder die taz als eine linke Tageszeitung. Aber auch Video- und Radiogruppen werden vorgestellt und die Diskussion über linke Computernutzung und die ersten Mailboxsysteme referiert. Der Band hat zwei Schwerpunkte, die auch getrennt voneinander gelesen werden könnten: Zum einen die Darstellung kritischer Medientheorie, zum anderen die Medienpraxis sozialer Bewegungen. Er ist also keine in sich kohärente Geschichte der alternativen Publizistik, sondern eher - für Dissertationen nicht ungewöhnlich - eine Literaturstudie. Beide Teile sind nicht eben leicht zu verstehen, und eine Bedienungsanleitung für zeitgenössische emanzipatorische Medienarbeit sind sie auch nicht. Politische Schlussfolgerungen oder Handlungsvorschläge für mediale Praxis lassen sich aus dem Text schwerlich ziehen, können sich vielleicht bei einer Dissertation auch nicht ziehen lassen. Sicher ist, dass eine auf der Manipulationsthese beruhende Medienpraxis heute nicht mehr angebracht ist. Wie sich aber die auch von Oy in seinem Schlußsatz eingeforderten *anderen Erzählungen*, die Informationen erst kritisch werden lassen, etablieren lassen können, bleibt weiterhin unklar. Auch wenn mittlerweile allen klar ist, dass eine Zeitung keine Bewegung schaffen kann, ist Medienarbeit ohne einen gewissen Glauben an diese These, oder die Hoffnung darauf nicht möglich. Etwas anderes ist auffällig: Linke Theorieproduktion scheint zunehmend in Form von Dissertationen oder durch DoktorandInnen stattzufinden, für viele andere, in der Vergangenheit gängigere Formen von Theoriearbeit scheint der schrumpfende Sozialstaat die dafür notwendigen Ressourcen zunehmend abzuschneiden.

Bernd Hüttner

Erschienen u.a. in Forum Wissenschaft Nr. 1/2002 (Januar 2002).

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