von Bernd Hüttner
Die Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Zürich übergibt wesentliche Teile ihres Bestandes an Büchern, Zeitschriften und Archivalien per Schenkung an die Zentral- und Stadtbibliothek der Stadt Zürich. Mit dieser Vereinbarung ist der geschlossene Fortbestand dieses Materials erst einmal gesichert, das Projekt eines unabhängigen sozialen und politischen Treffpunkts und das eines traditionsreichen selbstverwalteten Archivs der Arbeiter- und neuen sozialen Bewegungen aber vorerst zu Ende.
Die Studienbibliothek wurde 1971 von Theo und Amalie Pinkus, zwei weit über die Schweiz hinaus bekannten Linken, die Sympathien für den realexistierenden Sozialismus wie die neuen sozialen Bewegungen hatten, gegründet. Sie wollten ihre Privatbibliothek der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Die Sammelschwerpunkte der beiden wie auch der Studienbibliothek waren kommunistische Bewegung des 20. Jahrhunderts, Frühsozialismus, Marxismus, antifaschistischer Widerstand, Exil, Bücher aus und über den Realsozialismus, "1968" und neue soziale Bewegungen (Frauenbewegung, Umweltbewegung, StudentInnen etc.) in der Schweiz und in Deutschland.
Die Bibliothek hat einen Umfang von 50000 Büchern (Sachbücher und Belletristik) und unzähligen Kleinschriften. Ein wesentlicher Bereich des Bestands sind die Archivalien. darunter befindet sich auch der umfangreiche, bereits erschlossene Nachlass des Stifter-Paares Amalie und Theo Pinkus-De Sassi. Hinzu kommen Zeitungen und Zeitschriften. Die ca. 12000 Personen- und Organisationsdossiers, grösstenteils mit Zeitungsausschnitten von Pinkus, konnten nur zu geringem Teil in die Obhut des Schweizerischen Sozialarchiv übergehen.
Ab 1998 ging es, so die geschäftsführende Stiftungsrätin Brigitte Walz-Richter, für die Stiftung nur noch darum, den Fortbestand der Bibliothek zu erhalten. Warnendes Beispiel war die Bibliothek des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes die - nach hundert Jahren Aufbau - vor einigen Jahren aufgelöst und deren Buchbestand einfach verkauft wurde. Verhandlungen mit dem unter anderem von der Bundesregierung sowie Stadt und Kanton Zürich getragenen und schon 1906 gegründeten Schweizerischen Sozialarchiv führten nicht zum Erfolg: Das Sozialarchiv sah sich weder finanziell noch räumlich zu einer Übernahme in der Lage. Die Zentralbibliothek wird nun die übergebenen Materialien geschlossen und separat aufstellen und in ihren elektronischen Katalog aufnehmen. Dadurch wird die Zugänglichkeit des Materials weiter voll gewährleistet und für die Forschung wie für Laien sogar noch erhöht. Die MitarbeiterInnen der Studienbibliothek haben vor der Übergabe umfangreiche Teile aussortieren und die Bibliothek damit auf ihren inhaltlichen Kern reduzieren müssen. Von einem Scheitern der Studienbibliothek wollen sie nicht sprechen. Sie sind verhältnismässig guter Dinge und hoffen im Gegenteil, jetzt mehr Zeit als früher für die inhaltliche Arbeit mit den Archivalien zu haben.
Die Website der Studienbibliothek ist zu finden unter
www.studienbibliothek.ch.
Veröffentlicht in
Contraste, Mai 2001.