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Rezension

Weder Glut noch Asche. Probleme einer Geschichtsschreibung der Autonomen

Im der ersten Hälfte des Jahres 1997 erschienen drei Bücher, die alle "die Autonomen" zum Inhalt haben [1]. Da sie aus der schwer zugänglichen "grauen" Literatur von Autonomen herausragen, dürften sie das Bild der Autonomen als politisch-kultureller Bewegung in der interessierten Öffentlichkeit und in der Forschung zu den neuen sozialen Bewegungen nicht unwesentlich beeinflussen. Schon aus diesem Grund und dem weit wichtigeren der politischen Auseinandersetzung mit dieser Bewegung, ist eine kritische Beschäftigung mit diesen Büchern angezeigt.

In unterschiedlicher Weise behandeln die Veröffentlichungen die Autonomen als - und hier fangen die Probleme auch schon an, als was eigentlich? Als wichtigsten Bestandteil ausserparlamentarischer Politik der 80er Jahre? Als eine an ihr Ende gekommene soziale Bewegung? Als linksradikalen politischen Widerstand, dessen Ende schon oft konstatiert wurde (das erste Mal 1981/82), der aber, dank seines kulturellen "Unterbaues" das Ende der neuen sozialen Bewegungen überleben wird bzw. überlebte?

autonomie-kongress ist die Dokumentation des Autonomie-Kongresses, der 1995 in Berlin stattfand [2]. Bei diesem bundesweiten Treffen der radikalen undogmatischen Linken sollte es vorrangig um das "Innenleben" der autonomen Bewegung gehen. Die von der Kongreßvorbereitungsgruppe herausgegebene Dokumentation hat keinen Komplettheitsanspruch, versammelt aber das Protokoll der Auftaktveranstaltung und die wichtigsten Papiere des Kongresses und seiner Vorbereitung. Hervorzuheben sind die Beiträge zur Diskussion um die Vorstellungen von Militanz und Organisierung, das sehr scharfe Kritikpapier am Kongreß einiger Hamburger Feministinnen und der Beitrag zum Verhältnis von Spaß und Politik, die alle die Debatten der radikalen Linken auf den Punkt bringen. Kritik gab es beim Kongreß von "Ost-" an "West"autonomen, von jungen an Altautonomen, von Frauen an Männern, nicht zuletzt wurde das Fehlen von nichtdeutschen Menschen bemängelt. Die Vielfältigkeit der mittlerweile recht ausdifferenzierten (um nicht zu sagen: atomisierten) autonomen Bewegungen werden in der Dokumentation zwar genannt, aber nicht in der vielleicht gebotenen Schärfe. Eine Dokumentation der Presseresonanz und der in der autonomen Bewegung schließt den Band ab.

Die Kongreßvorbereitungsgruppe enthält sich einer direkten politischen Bewertung des Kongresses und seines Nachlaufes. Sie simuliert sich stattdessen als ideellen Gesamt-Autonomen Kreuzberger Prägung; als Teil der, so könnte man es nennen, autonomen Autonomen, die nach links (gegen die Antinationalen, gegen die Theoriefraktion allgemein) und rechts (gegen die traditionalistische Antifaschistische Organisierung) Kritik austeilt, ohne das eigene Politikverständnis zu reflektieren oder Vorschläge zu machen.

Thomas Schultz und Almut Gross legen in ihrem, aus einer überarbeiteten und aktualisierten politikwissenschaftlichen Diplomarbeit entstandenen Buch Die Autonomen einen Abriß der Geschichte der autonomen Bewegung, der Entwicklung ihrer Theorie und Praxis und einen kleineren Abschnitt zur autonomen Frauen- und Lesbenbewegung vor. Eingeleitet wird der Text, bei einer akademischen Arbeit wohl unvermeidlich, mit einem theoretischen Teil, der die neuen sozialen Bewegungen regulationstheoretisch aus der Krise des fordistischen 'Modells Deutschland` ableitet. Dann werden die Autonomen organisations- und ideengeschichtlich und der operaistische Ansatz von Zeitschriften wie Autonomie (Neue Folge) und wildcat kritisch diskutiert. Hervorhebenswert an dem Band ist, daß große Teile autonomer Theorie abgedeckt und in ihrer historischen Herausbildung untersucht werden. Das subjektivistische Politikverständnis von Autonmen wird deutlich, ferner werden, wenn auch nicht lückenlos oder fehlerfrei, empirische Daten zu bestimmten Ereignissen, wie etwa großen Demonstrationen oder Kongressen geliefert. Die beiden AutorInnen analysieren auch konstitutive Merkmale autonomer Politik (Identität, Militanz) und ihre Erweiterungen (Bündnispolitik, Patriarchatskritik, Triple oppression) und ihre Ambivalenzen, etwa in Bezug auf Organisation. Interessant ist, daß die AutorInnen zur Illustration ihrer Darstellung der Autonomen Zitate einstreuen, die aus Texten aus heutigen Tagen stammen könnten. Sie sind aber aus den frühen 80er Jahren und beweisen, daß die heute geäußerten Kritiken und Selbstanalysen die autonome Bewegung schon immer begleitet haben.

Glut und Asche ist die dritte Veröffentlichung des unter Pseudonym schreibenden Berliner Autonomen Geronimo. Geronimo verfasste 1990 das mittlerweile in vierter Auflage verbreitete Buch Feuer und Flamme. Zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen. In dem neuen Band erzählt er vier Beispiele linksradikaler Politik der beginnenden 90er Jahre nach: Die Kampagne gegen Berlin als Olympiastandort (Berlin - NOlymic City!), den Tod eines faschistischen Funktionär und die nachfolgende Repressionswelle, die Diskussion um den Spitzel, der den folgenreichen GSG 9-Einsatz in Bad Kleinen 1993 ermöglichte und schließlich den schon erwähnten Autonomie-Kongreß 1995. Der Autor geht dabei sehr detailliert vor, untersucht das Geschehen und seine Bearbeitung in autonomer Politik. Als Kondensat gewinnt Geronimo sein Anliegen einer Verteidigung "des Politischen", um Streit im, wie er es nennt, "heißen" Sinne des Wortes und nicht um platte "Benimmregeln". Diese entstanden aus dem durch die Frauenbewegung angestoßenen Grundsatz "Das Private ist politisch", das patriarchale Strukturen kritisieren sollte. Heute führt er aber dazu, "Politik" mit richtigem "Verhalten" zu verwechseln. Eine "gesellschaftstheoretische Bankrotterklärung ersten Ranges" sei es, so Geronimo, wenn es von Seiten Autonomer nicht einmal mehr probematisiert werde, daß autonome Politik heute in der Verteidigung des status quo bestehe und kein "Platz für gesellschaftliche Gegenentwürfe" (S. 27) mehr bestünde.

Gross/Schultze unternehmen einen institutionen- und ideengeschichtlichen Zugang, der die Autonomen hauptsächlich aus der Krise fordistischer Vergesellschaftung ableitet und so das Gewicht von "Strukturen" zu stark macht. Geronimo demgegenüber gibt zu, daß seine Gewichtungen, in erster Linie seine, und damit nicht objektiv sind. Sein Anliegen ist in bezug auf "die Autonomen" die Verteidigung eines "Politischen", und im Hinblick auf die gesellschaftliche Totalität die Aufhebung einer "Krise des Politischen", das schon fast an die Forderungen zivilgesellschaftlich gewendeter Ex-Linker erinnert. Er setzt unter Bezug auf einen Politikbegriff, der dem Willen zum Handeln die Möglichkeit der Freiheit zuschreibt, auf "Selbstaufklärung", Spontaneität und die Bewahrung des "Eigensinns", die anzustreben oder zu schützen seien. Gross/Schultze haben keine Perspektive anzubieten, die über Anforderungen an ein "Überleben" des "autonomen Widerstandes" (S. 216) hinausgehen.

Alle drei Bücher sind streckenweise schon veraltet, eine Positionierung der AutorInnen zu den auch aus einer Kritik an autonomer Theorie und Praxis entstandenen Strömungen der Kulturlinken oder der Antinationalen erfolgt nicht. Geronimo scheint zur oben schon angeführten "autonomen Mitte" zu gehören, während Thomas Schultze Redakteur der antinationalen Zeitschrift 17 Grad Celsius ist. Ein bißchen sind die Texte Geschichtsschreibung der Sieger. Die Verstummten, die Resignierten, die aus der Szene verschwundenen, die durch Ihre Zeit bei den Autonomen an Seele und Körper verwundeten und verletzten kommen nicht vor? Sie müssten, wenn mensch "die Autonomen" wieder an ihrem selbstgesetzten Anspruch der Abschwächung der Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit misst, erwähnt werden. Die Texte haben mit dem in den Sozial- und Geschichtswissenschaften immer noch nicht geklärten (und vielleicht auch nicht klärbaren) Widerspruch zwischen und dem Verhältnis von "Struktur" und "Handlung" zu kämpfen. Dies ist nicht weiter verwunderlich. Daß dieses Dilemma von den AutorInnen aber überhaupt nicht reflektiert wird, verwundert schon: die unterschiedlicher Sprechposition mit unterschiedlichen Absichten, Motivationen und Methoden werden nicht ausreichend reflektiert. Während sich Geronimo über seine Alltagsexistenz in vielleicht berechtigtes Schweigen hüllt, sind Gross/Schultze heute linker Buchhändler bzw. Sozialpädadgogin in einem Frauenprojekt. Sie haben damit den typischen Lebensverlauf der erfolgreichen Reste radikaler Oppositionsbewegungen hinter sich, der in einer Institutionalisierung in den Sektoren mündet, die durch die eigene Polit-Aktivität erst teilweise geschaffen werden. Diese Biographie ist von der der 68er oder der Grünen nicht verschieden und sollte Anlaß zur kritischen betrachtung sein.

Weitere Beiträge zur Situation und den Perspektiven linksradikaler Politik am Ende diesen Jahrhunderts sind nötig. Vielleicht finden Sie den Weg "zwischendurch". Den Weg zwischen dem Reduzieren von Geschichte auf Ereignisse und Strukturen, einer Sichtweise, aus der dann auch keine Konfliktualität mehr entstehen kann und der gesetzten Annahme, wie bei Geronimo, daß aus der Asche autonomer Politik doch wieder ein Phönix entsteigt, der die Glut weiterträgt (S. 22), einer Sichtweise, die doch stark an das Pfeiffen im Keller erinnert. Die Autonomen sind weder 'Asche` noch 'Feuer und Flamme` und auch die Metapher der 'Glut` verdeckt, daß die Autonomen Produkt der Gesellschaft sind, wie auch die Gesellschaft Produkt der Autonomen ist. Wer an einer kritischen Auseinandersetzung mit autonomer Politik interessiert ist, und diese ist trotz aller Kritik immer noch nötig und interessant, dem/der sei die vergleichende und kritische Lektüre aller drei Titel empfohlen. So können die Defizite der Veröffentlichungen teilweise aufgefangen werden.

Bernd Hüttner
[1] autonomie-kongress. Standpunkte, Provokationen, Thesen. Unrast-Verlag Münster 1997. Almut Gross, Thomas Schultze: Die Autonomen. Ursprünge, Entwicklung und Profil der autonomen Bewegung; Konkret Literatur-Verlag Hamburg 1997. Geronimo: Glut und Asche. Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung auf dem Weg ins 21. Jahrhundert; Unrast Verlag Münster 1997. (zurück)
[2] Siehe auch den Kongreß-Bericht in Z. 23, S. 167-169, sowie weiterführend Z. 24, S. 100-105. (zurück)

Erschienen in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 32 (Dezember 1997) und wurde in seiner online-fassung ohne Wissen des Autors auch auf einer vermutlich koreanischen website namens waam.net veröffentlicht.
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