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Vortrag

Gottfried Oy: Gegenöffentlichkeit und Medienprojekte sozialer Bewegungen seit 1968

Informationen zum Autor am Schluß dieser Seite

Ein Überblick über die Medienprojekte sozialer Bewegungen seit 1968 zeigt, dass nicht von einer kontinuierlichen Entwicklung Alternativer Medien gesprochen werden kann. Stattdessen sind vielmehr – gemäß der diskontinuierlichen Struktur sozialer Bewegungen selbst – sowohl Brüche als auch Versuche der Weiterentwicklung verschiedenster Ansätze zu beobachten. Auffällig hierbei ist die zyklische Wiederholung medienpolitischer Diskussionen, die sich mit Sinn und Zweck einer alternativen Publizistik beschäftigen.

Trotz dieser Diskontinuität alternativer Öffentlichkeitsproduktion lassen sich drei idealtypische Formen von kritischen Theoremen von Öffentlichkeit, Medien und Demokratie und den mit ihnen korrespondierenden Praxisformen bestimmen:

– Gegenöffentlichkeit als "Sorge um die Demokratie"

– Betroffenenberichterstattung als Kritik der Massendemokratie

– Kommunikation als emanzipative Strategie

 

1. Beispiel: Die "Enteignet Springer"-Kampagne

Am 2. Juni 1967 wurde während der Proteste gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs in Berlin der Student Benno Ohnesorg von der Polizei erschossen. Die Konsequenzen, die danach gefordert werden, betreffen auch die Medien. Neben der Forderung nach dem Rücktritt der Verantwortlichen in Politik und Polizeiapparat und der Vernichtung des existierenden Staatsschutzmaterials über die Opposition werden Sanktionen gegen Springer verlangt. Im September 1967 wird auf einer Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt eine "Resolution zum Kampf gegen Manipulation und für die Demokratisierung der Öffentlichkeit" verabschiedet. Dieser Text fasst die zentralen Argumente der Anti-Springer-Kampagne zusammen. Nach Ansicht des SDS ist es die ökonomische Krise, die nach dem Ende der Restaurationsphase der Nachkriegszeit Repression und Manipulation als Herrschaftsmittel begünstigt. Die Institutionen der parlamentarischen Demokratie verkommen zu bloßen Herrschaftsinstrumenten.

Öffentlichkeit sei in dieser historischen Phase nicht mehr "Widerspiegelung des grundlegenden gesellschaftlichen Konflikts", sondern "funktionale Beherrschung der Massen". Herrschaft beruhe auf der "erkauften Zustimmung der Beherrschten". Somit werde der Kampf um die "Befreiung des Bewusstseins" die zentrale gesellschaftliche Auseinandersetzung. Die demokratische Öffentlichkeit sei zerstört, da die Privatwirtschaft Aufklärung verhindere. Schließlich sei die Selbstzensur der Medien die Folge. Dieser Prozess spiele sich allerdings nicht nur auf einer manifesten Ebene ab, sondern berühre auch die psychische Konstitution der Individuen:

"Presse, Funk, Fernsehen und Film bauen eine Scheinwelt auf, in der die ‚geheimen Verführer‘ privatkapitalistischer Wirtschaftsinteressen und politischer Herrschaftsansprüche die Bedürfnisse der Menschen funktionell binden und zu psychischer Verelendung und Zerstörung politischer Urteilskraft führen."

Um diesen Prozess umkehren zu können, werden in der Resolution fünf politische Ziele benannt, die es ermöglichen sollen, eine diskutierende Öffentlichkeit wieder herzustellen, und Möglichkeiten der Umwandlung der "Institutionen der öffentlichen Meinungsbildung" zu benennen:

"1. Befreiung vom Meinungsmonopol durch Entflechtung, 2. Abschaffung der Konsumpropaganda und ihr Ersatz durch sachgerechte Verbraucherinformation, 3. Unabhängigkeit von öffentlicher Gewalt, 4. Selbstbestimmungsrecht der Redaktionen und Absicherung der Journalisten, 5. Recht auf Selbstartikulation für jede politisch, sozial oder kulturell relevante und demokratische Gruppe."

Die Enteignet-Springer-Kampagne wird zur ersten umfassenden und offensiven Aktion gegen Meinungsmanipulation erklärt. Das Aktionsprogramm beinhaltet den Kampf um das Grundrecht auf Freiheit der Information und die Aufforderung zur Bildung einer "praktisch-kritischen" Öffentlichkeit:

"Es kommt darauf an, eine aufklärende Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die Diktatur der Manipulateure muss gebrochen werden."

Für 1968 plant der SDS ein "Springer-Tribunal". Mitglieder des vorbereitenden Springer-Arbeitskreises der Kritischen Universität Berlin – einer selbstorganisierten studentischen Gegenuniversität –, des SDS, des Republikanischen Clubs und der Redaktionen des Spiegel und des Stern gründen das "Institut für Presseanalyse und Öffentlichkeitsforschung". Primäres Ziel dieses "Gegenöffentlichkeitsinstituts" (GÖFI) war die Gründung einer linken Tageszeitung. Während Spiegel und Stern die finanzielle Unterstützung der Kampagne an einer Abschwächung der Forderungen festmachte, bestand der Springer-Arbeitskreis auf der Enteignungs-Forderung. Das Tribunal fand allerdings nicht statt. Das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 führte zu den so genannten Osterunruhen, die sich gegen Springer richteten: Allein am Ostersonntag zogen 45.000 Demonstranten in mehr als 20 Städten der Bundesrepublik und West-Berlin vor die Druckereien und Verlagshäuser des Springer-Konzerns und versuchten, die Auslieferung der Bild-Zeitung zu verhindern.

Nicht zuletzt die Erfahrung der Hilflosigkeit in der direkten Konfrontation mit der Gewalt Springers in medialer und polizeilicher Form führte zu einer Abkehr von der direkten Aktion. Stattdessen wurde die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit als Netzwerk kritischer Medienprojekte propagiert. Auf Grundlage einer solchen Vorstellung von Gegenöffentlichkeit sollten die Siebzigerjahre zum Jahrzehnt der alternativen Publizistik werden. Die Phase der Alternativen Medien, das sind in erster Linie Printpublikationen, ab den Achtzigerjahren auch freie Radioprojekte, zieht sich bis etwa Mitte der Achtzigerjahre hin. Die großen, bekannten Projekte sind hier der Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten (1973-1981), die taz (1979 bis heute) und radikal (1976 bis heute).

Treffend wurde diese Phase der Gegenöffentlichkeit mit dem Begriff "Megaphonmodell" charakterisiert: Vom Aktivismus weniger und der Verbreitung der richtigen Informationen wird sich eine Art gesellschaftsverändernde Kettenreaktion versprochen. Dem entgegen steht das Modell der souveränen Medien: Produzentinnen und Rezipientinnen müssen sich erst einmal voneinander emanzipieren, um eigenständig mit den Medien umgehen zu können.

 

Das Konzept Gegenöffentlichkeit als praktische Forderung von ausgeschlossenen gesellschaftlichen Gruppierungen, an einer Konkurrenz der öffentlichen Meinungen teilnehmen zu dürfen, stellt eine Weiterentwicklung klassischer Aufklärungskonzepte dar. Die neuen sozialen Bewegungen mobilisieren insbesondere diejenigen Elemente eines Modells liberaler Öffentlichkeit, die durch den Strukturwandel derselben entweder pervertiert oder ihrer Kraft beraubt worden sind. Sie mobilisieren die normativen Ansprüche einer Öffentlichkeit, von der heute nur noch deren institutionelle Formen der Legitimation existent sind.

Das Idealbild der bürgerlichen Öffentlichkeit – der Markt sowohl als Ort des ökonomischen Austauschs als auch der gemeinsamen politischen Entscheidungsfindung – wird konfrontiert mit den durch Medienkonzerne bestimmten vermachteten Strukturen der politischen Kommunikation. In Anlehnung an das psychoanalytische Modell der Triebunterdrückung und dessen Erweiterung durch sozialpsychologischen Ansätze wird von einer Meinungsmanipulation durch die Massenmedien gesprochen. Diese Art der Manipulation bringe falsche Bedürfnisse hervor, deren Erfüllung nicht der individuellen Triebbefriedigung, sondern lediglich den ökonomischen Interessen der Akteure der Kulturindustrie diene. So, wie in die Bedürfnisstruktur der Individuen eingegriffen werde, so werde schließlich auch die politische Einstellung gezielt manipuliert. Herrschaft sei somit einem Wandel von einem in erster Linie repressiven zu einem in erster Linie manipulativen Charakter unterzogen.

Das Konzept Gegenöffentlichkeit, wie in dem Beispiel gezeigt, steht in der Tradition einer Theorie der bürgerlichen Öffentlichkeit, die den rationalen Austausch von Argumenten jenseits von Machtstrukturen in den Mittelpunkt stellt. In Ermangelung einer solchen Öffentlichkeit und angesichts der vorherrschenden massenmedialen Öffentlichkeitsformen mit ihrem manipulativen Charakter besteht das politische Konzept darin, sich gegen die faktisch undemokratische Ausgestaltung der vermachteten öffentlichen Räume zu stellen und eine Einlösung der emanzipativen und demokratisierenden Potenziale der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihrer Medien zu fordern. Das Konzept Gegenöffentlichkeit versteht sich somit als eine praktische Verwirklichung einer "demokratischeren" Öffentlichkeit.

Diese politische Linie kann demnach als eine Art Erneuerungsprozess der demokratischen politischen Kultur verstanden werden. In der Entwicklung des Manipulationstheorems liegt der Bezug auf eine "eigentliche" Demokratie begründet: Gelänge es, die Agenturen der Manipulation zu beseitigen, wäre es durchaus möglich, Demokratie selbst zu gestalten. Im Umkehrschluss heißt das, zur Wiedererrichtung eines demokratischen Vergesellschaftungsmodus genüge es, die ökonomische Macht von allzu großen Medienkonzernen einzuschränken, um somit der Konkurrenz der Meinungen einen größeren Spielraum zu eröffnen. Die Forderung nach Reglementierung des Medienmarktes stellt einen Schnittpunkt dar zwischen einer zivilgesellschaftlichen Gegenöffentlichkeit und dem Staat, der als Garant von Demokratie angerufen wird. Das Konzept Gegenöffentlichkeit, dass genau an diesem Schnittpunkt ansetzt, ist innerhalb der historischen Auseinandersetzungen um den fordistischen Klassenkompromiss zu verorten. Im Appell an den fordistischen Staat liegt die zeithistorische Vorstellung begründet, Kompromisse zur Durchsetzung demokratischer Verfahrensweisen zu erreichen, indem der Staat für die Einhaltung eines neu ausgehandelten Klassenkompromisses sorgt.

In der politischen Praxis sozialer Bewegungen in Auseinandersetzung mit den genannten Aspekten des Konzeptes Gegenöffentlichkeit zeichnen sich im Wesentlichen zwei Entwicklungslinien ab: zum einen die Reintegration in eine sich weiter ausdifferenzierende politische Öffentlichkeit und zum anderen die Radikalisierung der eigenen Positionen hin zu einer Art existenzialistischen Militanz, die Vereinnahmung verhindern soll.

 

– Authentische Kommunikation als Kritik der Massendemokratie

Das zweite große Konzept innerhalb der Theorie und Praxis alternativer Öffentlichkeit stellt sich – anders als das Konzept Gegenöffentlichkeit, welches eine explizit moderne, an der Philosophie der Aufklärung orientierte politische Theorie ist – in die Tradition der Kritik der Massengesellschaft. Hinter dem Ansatz der authentischen Kommunikation, welcher die "eigentlichen" Bedürfnisse der Individuen in den Mittelpunkt stellen möchte, steht eine fundamentale Kritik an den Informations- und Kommunikationsangeboten der Massenmedien. Ihnen wird vorgeworfen, sie würden auf Grund ihrer anonymen und einseitigen Struktur einen realen Meinungs- und Wissensaustausch verhindern und somit dazu beitragen, dass es den Individuen nicht mehr möglich sei, "wirkliche" Erfahrungen zu machen. Eine solche Kritik rekurriert insbesondere auf frühbürgerliche Formen der kommunikativen Praxis und auf die Etablierung konkreter geografischer statt abstrakter Orte des kommunikativen Austauschs.

 

2. Beispiel: Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten

Der ID (1973 - 1981) war die erste überregionale Wochenzeitung der Alternativbewegung. Als Zwischenform zwischen Wochenzeitung und Nachrichtenagentur greift er das Konzept der vorhandenen Alternativen Medien auf und versucht es auf bundesweiter Ebene zu radikalisieren:

"Der Beitrag der ID-Mitarbeiter am Klassenkampf besteht mithin darin, dem Träger der Revolution, dem Betroffenen, ein Medium anzubieten, das dieser für die Belange seiner selbst [...] und damit der gesamten Gesellschaft nutzen kann."

Das Konzept des ID war von zwei Strömungen geprägt. Eine der Strömungen forderte einen starken "Szenebezug" ein, der sich insbesondere daran orientieren sollte, Texte unzensiert, das heißt, nicht journalistisch bearbeitet, abzudrucken. Die zweite Strömung sah den ID als eine Art linke Nachrichtenagentur an, die beispielsweise kritischen Journalisten Informationen liefere, mittels deren sie in herrschende Diskurse eingreifen können.

Die Kritik des ID richtete sich insbesondere gegen einen "linken Journalismus", der die "lebendigen Erfahrungen" der Individuen im Alltag ausgrenze. Der ID hingegen startet mit dem Grundverständnis, durch das Sprechen-lassen von Betroffenen Erfahrungen zu produzieren. Während die bürgerliche und die vorherrschend linke Öffentlichkeit auf die Blockierung von Erfahrung angelegt ist, bezieht sich das publizistische Gegenkonzept des ID gerade auf ihr Gegenteil: die Produktion von Erfahrung. Den durch die Mechanismen bürgerlicher Öffentlichkeit vorgegebenen Werthierarchien will der ID einen "Gegenpluralismus" entgegensetzen, der das Alltägliche, den lebendigen Menschen zum Bezugspunkt alternativer Nachrichtenproduktion macht.

Die Medienkritik des ID beschränkte sich allerdings nicht auf eine Kritik des Objektivismus des bürgerlichen Journalismus. Auch die Sprache und die Form der Nachrichten wurden mit einbezogen, als Negativbeispiel diente neben der bürgerlichen Presse auch der "linke Resolutionsjournalismus", dem ein mangelnder Bezug auf die "Erfahrungen, Träume, Lernprozesse" und die "subjektiven und kollektiven Entstehungsgeschichten von Widerstand" attestiert wurde.

Demgegenüber betont der ID die "Gebrauchswerteigenschaft" einer Nachricht: Nicht das bloße Konsumieren, sondern der Wert, den Nachrichten für das eigene politische Handeln haben, soll im Vordergrund stehen. Dieser Gebrauchswert mache das Kommunizieren mit den Lesern aus, welches diametral dem "Berichten über" der bürgerlichen Medien gegenübersteht.

Traditionell am Anspruch und der täglichen Arbeit des ID war hingegen die anvisierte Rolle als Nachrichtenagentur für linke und linksliberale Journalistinnen und Journalisten. Der Agenturanspruch, der sich auf den Topos der "unterbliebenen Nachricht" stützte, die auf Grund der Auswahlkriterien und Interessenlagen innerhalb der bürgerlichen Medien verschwiegen wird, wurde allerdings von der Rezeptionspraxis der Leserinnen und Leser konterkariert. Viele der Abonnentinnen und Abonnenten verstanden den ID als eine Wochenzeitung und weniger als Nachrichtenagentur, deren Informationen weiterverarbeitet werden sollten. Während auf der programmatischen Seite der Agenturansatz mittels Neutralitäts- und Authentizitätsanspruch verabsolutiert wurde, setzte sich in der alltäglichen Praxis eher der Bedarf nach einer überregionalen linken Zeitung durch.

 

Drei Momente stehen bei dieser Art Medienkritik im Mittelpunkt: Das ist zunächst die Vorstellung der Authentizität selbst, das heißt der Propagierung einer "wirklichen" Kommunikation statt einer durch die Massenmedien vermittelten, die als eine verfälschte Form angesehen wird. Zum Zweiten gehört zu diesem Konzept ein positiver Bezug auf den Begriff der Kreativität. Rezeption wird innerhalb des Theorems der authentischen Kommunikation als eigenständige kreative Tätigkeit nicht anerkannt, insbesondere die Rezeption massenmedialer Angebote fällt unter das Verdikt des unkritischen, passiven Konsumierens. Schließlich ist die Vorstellung der Authentizität eng mit dem Betroffenheitskonzept verbunden. Gemäß dem Postulat der Politik in erster Person wurde einer als authentisch eingeschätzten Äußerung eines Betroffenen mehr Glauben geschenkt als einer journalistisch verarbeiteten Meldung. Durch die kategorische Ablehnung von Journalismus sollte der Zusammenschluss von authentischer Meinungsäußerung, Bericht der Betroffenen, Kollektivitätserfahrungen und politischer Aktion gewahrt bleiben.

Darüber hinaus geht es den Akteuren der alternativen Medien auch um den Organisierungs- und Mobilisierungseffekt, der die authentische von der Massenkommunikation abhebt. Eine Art Selbstaufklärung der Beteiligten soll im Gegensatz zu klassischen anonymen Aufklärungsprozessen die Berücksichtigung individueller Erfahrungs- und Lebenswelten Gewähr leisten, nicht zuletzt um eine traditionelle Politikperspektive verlassen zu können.

 

Drittes großes Konzept innerhalb der Theorie und Praxis alternativer Öffentlichkeit schließlich ist das Rückkanal- oder Interaktivitätsmodell. Von der sowjetischen Avantgarde in den Zwanzigerjahren bis zu den Netzwerktheorien der Neunzigerjahre zieht sich der Gedanke, nur ein grundlegender Wandel des Produktion-Rezeption-Verhältnisses könne eine Umwälzung der Struktur der Medien und somit der Gesellschaft hervorbringen. Die Möglichkeit, senden und empfangen zu können, steht als Chiffre für wahrhaft demokratische Verhältnisse. Innerhalb der Debatten um die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ist zudem ein zunehmender Technikdeterminismus zu verzeichnen. Schon allein die technische Möglichkeit der Interaktivität wird zum Dreh- und Angelpunkt der Demokratisierung, aber auch des Kulturverfalls erklärt.

In der Aufhebung der Trennung von Macherinnen und Publikum, die an den herkömmlichen Medien kritisiert wird, liegt die Hoffnung auf die emanzipative Kraft der Rezipientinnen und Rezipienten begründet. Wie es die sowjetische Avantgarde formulierte, geht es jedoch nicht um die einfache Ausweitung des Zugangs zu Kultur und Medien, sondern um eine grundsätzliche Aufhebung der Trennung von Rezeption und Produktion. Sind es also die Manipulateure, die gezielt Informationen unterdrücken und kommunikative Prozesse unterbrechen, so verlagern sich die Hoffnungen auf emanzipative Entwicklungswege auf die Rezipientinnen. Diese Idee der Erweiterung der Rezeptionswege korrespondiert mit dem vorgestellten Modell der authentischen Kommunikation, die das demokratietheoretische Idealbild der diskutierenden Versammlung – sei sie realer oder virtueller Art – zur anzustrebenden Art der Organisation von Austausch und Diskussion erklärt.

Grundsätzlich eint die Ansätze der Interaktion, dass Kommunikation als Gegenpol zu den als vermachtet beschriebenen Strukturen der klassischen Massenmedien angesehen wird. Dem liegt ein Verständnis von Macht als ein den Individuen äußerliches Herrschaftsverhältnis zu Grunde. Historisch bezieht sich diese Betonung von Kommunikation auf die Durchsetzung der Meinungsfreiheit als eine der zentralen Forderungen der bürgerlichen Revolution. Die Etablierung von Kritik und die Entstehung der Medien sind historisch untrennbar miteinander verbunden. Im Prozess der Ausdifferenzierung der kommunikativen Techniken setzte sich jedoch eine Art "Geständniszwang" durch, die ehemals freie Meinungsäußerung wurde in eine Art "Verpflichtung zur medialen Selbstrepräsentation" transformiert.

Ein deutlicher Bruch ist hier zu hegemonie- und diskurstheoretischen Ansätzen zu erkennen, die sich nicht auf einen repressiven oder manipulativen Machtbegriff stützen, sondern von einer Diskursivierung der Macht ausgehen und dementsprechend andere politische Strategien einfordern. Kommunikation kann heute nicht mehr an sich als demokratisierend beschrieben werden, es geht vielmehr darum, benennen zu können, welche Aspekte von Kommunikation – ehemals in emanzipativem Sinne eingefordert, heute machtkonform integriert – öffentliche Räume anders strukturieren würden und welche inzwischen fester Bestandteil dieser Räume sind [-> Spehr: Freie Kooperationen].

 

Und heute?

Kaum ein öffentlicher Raum ist derzeit demokratietheoretisch so umstritten und deswegen analytisch so interessant wie der der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Als integraler Bestandteil der Modernisierung kapitalistischer Produktionsstrukturen werden die neuen Möglichkeiten von Information und Kommunikation sowohl als Großtechnologie mit negativen gesellschaftlichen Auswirkungen als auch als endlich erreichte Möglichkeit der medialen Emanzipation von den Einweg-Medien angesehen.

Als Ende der Siebzigerjahre erste Kontakte zwischen einer entstehenden "Hacker-Szene" und der damaligen Alternativbewegung geknüpft wurden, dominierten so genannte "Antikabelgruppen" die Diskussion über Neue Medien. Diese Gruppen versuchten unter dem Begriff "Neue Medien" alle gesetzlichen und technologischen Neuerungen der damaligen Zeit zusammenzufassen: Entwicklung des Personal Computers, Computernetzwerke, Kabelfernsehen, Privatisierung des öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunksystems und Fragen des Datenschutzes. Befürchtet wurde eine "Telematisierung des Modells Deutschland", die eine Intensivierung, Monotonisierung und Dequalifizierung der Arbeit zur Folge habe, die Individuen zunehmend isoliere und schließlich Überwachung und Kontrolle perfektioniere. Antikabelgruppen riefen demzufolge zu Boykottaktionen gegen Computertechnologie auf.

Die ersten Hackerkollektive wie "Wuseltronick" hatten dieser vorherrschenden Theorie und Praxis entsprechend einen schweren Stand innerhalb der Alternativbewegung. Sie verfolgten jedoch mit ihren spektakulären "Hacks" in Datennetze von Behörden und Wirtschaftsunternehmen das gleiche Ziel wie die Antikabelgruppen, indem sie vor den Gefahren der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien warnen und einer zunehmenden Kommerzialisierung entgegenwirken wollten. 1981 wurde in den Räumen der taz in Berlin ein erster Zusammenschluss von Hackern gegründet: der Chaos Computer Club (CCC), der sich zum Ziel setzte, die Auswirkungen der Informationsgesellschaft praktisch zu untersuchen.

Unabhängig voneinander entstanden Anfang der Achtzigerjahre, initiiert vom CCC und der Aktion "lehrer pool", einem Vorläufer des späteren Mailboxnetzes "LINKSysteme", erste Initiativen zur Einrichtung von Mailboxen – anrufbaren Computer, die in der Art von Schwarzen Brettern eingerichtet sind. Ende der Achtzigerjahre begann die Kriminalisierung der Hackerszene, spektakuläre Staatsschutzaktionen brachten dem Thema eine anhaltende mediale Aufmerksamkeit. Der CCC als Selbstorganisation der Hacker etablierte sich als Vermittlungsinstanz zwischen verfolgten Computerfreaks und staatlichen Behörden. Während die Hackerszene sich mehr an anarchistischen Netzwerkphilosophien orientierte, fanden sich die eher den sozialen Bewegungen der Achtzigerjahre verbundenen Computerspezialisten im 1986 in München gegründeten Sozialistischen Computerclub (SCC) zusammen.

Praktiziert wurde eine neue Informationspolitik erstmalig 1986 anlässlich der Reaktorkatastrophe im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl. Während die Regierungen der europäischen Staaten noch Informationen über die Auswirkungen des Super-GAUs zurückhielten und die Medien kaum darüber berichteten, drangen erste Informationen über die Hackerszene an die Öffentlichkeit. Internationale Mailbox-Kontakte bildeten die Grundlage für diese Art der freien Informationspolitik.

Ende der Achtzigerjahre gelang es, mittels selbstentwickelter Software ein Mailboxnetz aufzubauen, dass sich zunehmend erweiterte. Mit Mailboxen in nahezu allen größeren bundesdeutschen Städten verwirklichte sich so die Idee eines dezentralen Computernetzwerkes, getragen von Akteuren der sozialen Bewegungen.

In den Computernetzen wird das zukünftige Medium der Selbstorganisation sozialer Bewegungen gesehen. Sie verfügen über eine Gegenstruktur zu den kommerziellen und staatlichen Telekommunikationsnetzen, über Gegenexperten, über Gegenöffentlichkeit, über Individualität, über Beweglichkeit und sie seien die technologische Verwirklichung der Zweiwege-Kommunikation, so die Befürworter. Im Austausch aller mit allen und der unangreifbaren dezentralen Netzstruktur sei das demokratische Erfolgsrezept begründet. Doch diese viel beschworene Diskussionsstruktur entpuppt sich in der Praxis allzu oft als "Netzrauschen", ein zu viel an Information. Insofern trifft wohl eher die "Strukturverstärker"-These auf die Netzkommunikation zu: Es können lediglich bestehende Strukturen durch Computernetzwerke unterstützt werden, hingegen keine grundlegend neuen geschaffen werden.

Die Netzwerkidee wird als Gegenmodell zu klassischen Organisationsformen der Arbeiterbewegung präsentiert, bei denen die Mobilisierung von "Massen" im Vordergrund steht. Spätestens mit dem Faschismus wurden diese Organisationsformen fragwürdig, symbolisieren sie nicht nur die Solidarisierung untereinander, sondern auch die gleichförmige Unterwerfung unter ein übergeordnetes Ziel.

Das Internet als ein verschiedene Computernetze integrierendes Netz hat inzwischen an Popularität die Mailboxnetze der Achtzigerjahre auch in Kreisen sozialer Bewegungen längst überrundet. Die verschiedenen technischen Möglichkeiten des Internets potenzieren noch einmal die Möglichkeiten computerunterstützter Kommunikation. Potenziell weltweite Zugriffs- und Publizierungsmöglichkeiten werden zur Chiffre für ebenfalls weltweit anstehende Demokratisierungsprozesse. Doch nicht nur das: Die Technologie des Netzes – das Prinzip des freien Datenflusses und die "Ökonomie der Geschenke" – wird selbst zum Inhalt und verkörpert somit in materialisierter Form die Netzwerkphilosophie basisdemokratischer sozialer Bewegungen.

 

3. Beispiel: com.une.farce

Inwieweit die Demokratisierungspotenziale der neuen Informations- und Kommunikationstechnologie tatsächlich ausgenutzt werden, lässt sich am besten anhand der Praxis sozialer Gruppen im Netz überprüfen. In den Achtzigerjahren existierten wie dargestellt Computer- und Politszene noch weitgehend getrennt voneinander. Die mittleren Neunzigerjahre zeichneten sich durch einen "Internet-Hype" sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch in der breiten Öffentlichkeit aus. Auch linke Initiativen setzten sich mit dem Internet auseinander. Es wurden zwar die mit der Etablierung des World Wide Web zunehmend vermachteten Strukturen des Netzes kritisiert, zu einer eigenen Praxis im Netz kam es jedoch nur in Ansätzen. [große Ausnahme hier nadir]

Innerhalb der Alternativen Medien finden sich zwei idealtypische Formen der Kritik der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien: eine "traditionell-politisch" und eine "künstlerisch-avantgardistisch" motivierte Kritik. Beide eint, dass sie die Rede von der Informationsgesellschaft ablehnen und davor warnen, aus den zunehmenden Informationsmöglichkeiten zwangsläufig Demokratisierungspotenziale abzuleiten. Der Computer sei eher ein Instrument der Modernisierung des Warenverkehrs und der berufsorientierten Fortbildung, als dass er zum Abbau bestehender Herrschaftsstrukturen beitragen würde. Die euphorische Begrüßung der Informationsgesellschaft wie auch die pessimistische Rede vom Information-Overkill übergeht jedoch ein entscheidendes Problem der repräsentativen Demokratien: Informationen allein ziehen keine Handlung nach sich, bleiben in der Regel im alltagskulturellen Kontext ohne Auswirkungen. Die Verfügung über Informationen ist nicht gleichzusetzen mit der Verfügung über gesellschaftliche Machtpotenziale, also die Möglichkeit, Schlussfolgerungen aus diesen Informationen auch tatsächlich umzusetzen. Ohne die Veränderung von Herrschaftsstrukturen bleibt die aufklärerische Information nutzlos.

Innerhalb der "traditionell-politischen" Linken überwiegt ein eher kulturpessimistisch-technikkritisches Verhältnis zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Die in Kritik an dem Topos der Informationsgesellschaft erlangte Differenzierung zwischen Technologie und sozialen Verhaltensweisen wird wieder zurückgenommen, und von der Durchsetzung der neuen Technologie wird eine direkte kausale Auswirkung auf die gesellschaftlichen Verhältnisse erwartet. Innerhalb des Kreises der Befürworterinnen und Befürworter des Internets schließlich ist eine erneute Renaissance des Konzeptes Gegenöffentlichkeit zu beobachten: Wie gehabt, wird auf die Überzeugungskraft rationaler Aufklärung gebaut und davon gesprochen, der Meinungsmanipulation eine kritische, aufklärende Öffentlichkeit – jetzt virtuell – entgegenzusetzen. [-> indymedia]

Anders die "künstlerisch-avantgardistisch" motivierte Netzkritik: Hier steht Entkörperlichung, Virtualisierung und Identitätskritik im Mittelpunkt. Insbesondere der Cyberfeminismus beruft sich auf die virtuellen Möglichkeiten der Auflösung feststehender Identitäten und propagiert eine neue, die Dichotomie von Kultur und Natur überwindende Künstlichkeit in Form von "posthumans" oder "Cyborgs". Es geht innerhalb dieses künstlerisch-avantgardistischen Diskurses auch darum, neue Formen kollektiven Handelns anhand der Möglichkeiten des Netzes zu entwickeln und in das real life rückzuübersetzen. Der Krise vereinsartiger, parteiähnlicher aber auch informeller Szene- und Organisationsstrukturen lässt sich - so die Hoffnung - mittels Netzkommunikation eine neue Form der dezentralen überregionalen Vernetzung entgegensetzen.

Inzwischen ist die Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien zur gängigen Praxis auch innerhalb der bundesrepublikanischen Linken geworden. Obwohl längst nicht alle engagierten Menschen Zugang zum Internet haben, obwohl klassen- und geschlechtsspezifische Ein- und Ausschlussmechanismen weiter bestehen, wird doch nicht nur überregional und international, sondern auch lokal über E-Mail kommuniziert, wird das Netz als Informationsquelle genutzt, und für viele Gruppen ist die eigene Homepage eine Selbstverständlichkeit geworden.

Die noch kurze Geschichte der Internetzeitschrift com.une.farce macht diesen Prozess nachvollziehbar und lässt die Schwierigkeiten im Umgang mit der neuen Technologie deutlich werden. Herausgegeben von einer überregionalen Redaktion aus dem Spektrum der postautonomen Linken ist diese Zeitschrift ein Beispiel dafür, wie sich die angeführten netzkritischen Debatten in eine neue Praxis alternativer Öffentlichkeit umsetzen.

Der Diskussionskreis um das Projekt farce entstand Mitte der Neunzigerjahre im Kontext der Krise der autonomen Bewegung. Teile der Linken orientierten sich stärker an den Konzepten des Postrukturalismus und der cultural studies und machten somit Kultur, Öffentlichkeit und alltagskulturelle Zusammenhänge verstärkt zu den Feldern des politischen Handelns. Dieser "Cultural Turn" besteht einmal mehr in dem Versuch, von der "großen Politik" abzurücken und popkulturelle, akademische und politische Erfahrungen und Reflexionen mit den alltagskulturellen Zusammenhängen der Akteurinnen und Akteure zu vermitteln. Die farce steht personell und inhaltlich in der Tradition der postautonomen Strömung, die sich Mitte der Neunzigerjahren etwa in Publikationen wie Die Beute und Hilfe und in politischen Kampagnen wie den Innenstadtaktionen oder den Wohlfahrtsausschüssen einer breiteren Öffentlichkeit präsentierte.

Schnell zeigte sich jedoch, dass die klassischen Wege der Publizität in den Neunzigerjahren noch stärker wie zuvor auf Grund ökonomischer Schwierigkeiten versperrt waren: Zeitschriften mussten ihr Erscheinen einstellen, Verlage meldeten Konkurs an, das Netz von Buch- und Infoläden schrumpfte mehr und mehr zusammen, Vertriebsstrukturen brachen zusammen. Nahe liegend ist vor diesem Hintergrund der Schritt ins Netz: befreit von nahezu unlösbaren Distributionsproblemen und in Ermangelung der nötigen Anschubfinanzierung sind einem no-budget Netzprojekt in den Neunzigerjahren zumindest nicht von vorneherein alle Wege versperrt.

Die Redaktionsgruppe der farce entwickelte sich aus einem Diskussionszusammenhang, der sich um den Autonomie-Kongress der undogmatischen linken Bewegungen 1995 bildete. Die Diskussionen bewegten sich um das Feld Politik, Alltag, Kultur; immer wieder stand dabei im Rekurs auf die Tradition der künstlerischen Avantgarde die Frage im Mittelpunkt, wie der Verfestigung einer kulturellen Grammatik, innerhalb derer sich Herrschaft in Form von alltäglichen Verhaltensweisen manifestiert, entgegenzuwirken sei. Da der Alltag vieler aus diesem Diskussionskreis zudem von neuen, prekären Arbeitsverhältnissen geprägt ist, bildete sich zudem in der Auseinandersetzung mit den Konzepten der immateriellen Arbeit ein weiterer Schwerpunkt heraus.

Teile der Redaktion waren in linken Zeitschriftenprojekten tätig gewesen und brachten die dort erworbenen Erfahrungen in den Produktionsprozess ein. Die Entscheidung, im Netz zu publizieren, basierte zum einen auf finanziellen Erwägungen – so war es möglich, die Zeitschrift ohne größere Kosten zu produzieren und im Netz frei zur Verfügung zu stellen. Ausgangspunkt war zum anderen das Interesse, auf Grund negativer Erfahrungen mit anderen Alternativen Medien eine neue Publikationsmöglichkeit für die Diskussion und Weiterentwicklung undogmatischer linker Politik zu schaffen. Die Auseinandersetzung mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien stand dabei zunächst im Hintergrund. [-> anders wie bei indymedia]

Dennoch kam es in der Gründungsphase des Projektes zu Diskussionen, innerhalb deren sich die beschriebenen Positionen manifestierten. Vorwurf an die Befürworterinnen und Befürworter der Computertechnologie war, sie würden den Epochenbruch zwischen gedruckten Publikationen zu im Netz bereitgestellten Datensätzen nicht benennen. Somit werde einer sich wandelnden Rezeptionssituation nicht Rechnung tragen. Darunter wurde verstanden, dass in gedruckter Form vorliegende Zeitschriften zwar zunächst ebenso individuell rezipiert werden, um aber schließlich in eine kollektive Rezeption an realen Orten zu münden. Ein Online-Magazin hingegen unterstütze gesellschaftlich vorherrschende Vereinzelungstendenzen, da hier eine individualisierende Rezeptionssituation auf Grund des Mediums schon angelegt sei. Zudem könne nicht davon ausgegangen werden, dass die notwendige technische Ausrüstung, um eine Netzzeitung zu lesen, überall verfügbar sei. Um die angesprochenen sozialen und geschlechtsspezifischen Ausschlussmechanismen abzuschwächen, sollten die Texte leicht downloadbar sein, Ausdrucke sollten dezentral weitergereicht werden. Dazu kam es allerdings nur in Ansätzen; der organisatorische Aufwand, über Kontaktpersonen in verschiedenen Städten Printversionen in Info- und Buchläden auszulegen, war neben der redaktionellen Arbeit im Rahmen eines No-Budget-Projekts nicht leistbar. So findet eine Anbindung der Zeitschrift an nicht-virtuelle soziale und politische Zusammenhänge bisher vor allem über die Organisation von Diskussionsveranstaltungen oder von Release-Partys anlässlich des Erscheinens einer neuen Ausgabe statt. [-> Club-/Kneipenabend "Hinterhof"]

Bei der Produktion der farce spielt Kommunikation via E-Mail eine zentrale Rolle, da die Redaktionsmitglieder geografisch verstreut sind. Die kontinuierliche Kommunikation und die redaktionelle Arbeit sind über eine Mailingliste organisiert, es gibt keine virtuellen Redaktionssitzungen, die Kommunikation läuft unabhängig von Zeit und Raum. "Face-to-face"-Treffen finden nur selten statt. Auch hier erwächst die Nutzung technologischer Möglichkeiten vor allem aus pragmatischen Erwägungen. Allerdings entstehen dadurch auch Probleme: Während E-Mail zur Klärung technischer Fragen als fast ideales Medium erscheint, erweisen sich die charakteristischen Beschränkungen elektronischer Kommunikation – Entkörperlichung und Reduktion der Kommunikationsbandbreite – als Problem, wenn kompliziertere inhaltliche Konflikte auftreten.

Die farce hatte zunächst den Charakter einer traditionellen Printzeitschrift: Sie erschien 1998/99 in vier einzelnen Ausgaben mit Erscheinungsdatum, Inhaltsverzeichnis und Editorial. Anfangs war sich die Redaktion einig, dass die farce ganz einfach ein Printmedium im Netz sein sollte. Man wollte die eigene Arbeitsweise nicht von den Möglichkeiten des Mediums, sondern von den eigenen Diskussionsstrukturen abhängig machen.

Die Fortentwicklung der farce ist durch die zunehmende Aneignung von technischen Möglichkeiten des Mediums Internet gekennzeichnet. Inzwischen werden die neuen Ausgaben "in progress" ins Netz gestellt und nach und nach mit Artikeln aufgefüllt. Sobald ein Text fertig ist, kann er in die "offene" Nummer integriert werden: Ein Zugeständnis an die Geschwindigkeit Internets, mit dem der Forderung nach Aktualität und Schnelligkeit Rechnung getragen wird, ohne die traditionelle, aber netztechnisch nicht notwendige Aufteilung in einzelne Nummern aufzugeben. Zugleich besteht mehr Spielraum für Experimente bei Layout und formaler Gestaltung.

 

Der Schritt ins Netz stellt sich demnach für Alternative Medien in der Praxis weit weniger spektakulär dar, wie innerhalb kritischer Netzdiskurse zunächst angenommen. Weder verlieren sie ihr angestammtes Klientel noch erlangen sie im Netz überproportionale Aufmerksamkeit. Online-Magazine mit maßgeblich online kommunizierenden Redaktionen bieten neue Assoziationsmöglichkeiten und eröffnen so Perspektiven in Bezug auf neue Organisationsmodelle jenseits von formellen Partei- und Vereins-, aber auch von informellen Szenestrukturen.

 

Wie geht’s weiter?

In der Auseinandersetzung mit Alternativer Öffentlichkeit der Siebziger- und Achtzigerjahre war der Tenor der Kritik, dass diese Bewegung nur da politisch sein könne, wo sie nicht die Ausgrenzungsprozesse des "Modells Deutschland" verdoppele und sich selbst gettoisiere. Damals eine durchaus angebrachte Kritik. Inzwischen zeigt sich allerdings, dass zahlreiche Bereiche der Alternativbewegung weit mehr in die Gesellschaft und deren Umstrukturierungsprozesse in der Krise des Fordismus hineingewirkt haben als zunächst gedacht. Einer scheinbar verdoppelten Ausgrenzung in Form von selbstverwalteten Betrieben, eigenen Medien und Szeneöffentlichkeiten folgte die Reintegration in die Gesellschaft in Form von modernisierten Produktions- und Reproduktionsstrategien.

Inwieweit die Praxis der Alternativen Öffentlichkeit Eingang in Inhalt und Konzept moderner Medien gefunden hat, will ich zum Schluss kurz an deren Grundlagen überprüfen. Diese sind, noch einmal zusammengefasst:

Politik in erster Person, Betroffenheit und Authentizität

– Verbreitung zurückgehaltener Nachrichten

– Verwirklichung des Rückkanal-Theorems

– nicht-hierarchische Arbeitsteilung

– und schließlich die parteipolitische und ökonomische Unabhängigkeit.

Der Einzug von Politik in erster Person, Betroffenheit und Authentizität in die Massenmedien ist sicherlich am deutlichsten zu beobachten. Losgelöst von politischen Inhalten, werden Betroffenheit und authentische Meinungsäußerung selbst zum Inhalt und verleihen den Medien das Image, kritisch gegenüber Institutionen zu sein. Hier zeigt sich die Vereinbarkeit von Betroffenheit und Personalisierung, eine der Grundlagen des Journalismus. Was auf den ersten Blick wie eine Öffnung einer ehemals monokulturellen Hegemonie hin zu nicht-hegemonialen Lebensläufen, Begierden oder einfach nur abseitigen Themen wirkt, stellt lediglich eine neue Form der erweiterten Selbstdisziplinierung in der geforderten permanenten Rede über sich selbst dar [Stichwort "Talkshow"]. Inwieweit die Normierung massenmedialer Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten das in erster Linie alltagskulturelle Rezeptionsverhalten bestimmt, kann allerdings nicht allein über die Analyse der Medieninhalte, sondern nur über die Beschäftigung mit der kulturellen Hegemonie selbst geklärt werden.

Die Verbreitung zurückgehaltener Nachrichten: Rein quantitativ kann davon ausgegangen werden, dass mittels zunehmender Anzahl von Printmedien, Fernsehkanälen, Radiostationen und Onlineangeboten die Zahl der veröffentlichten und auch relativ breit zugänglichen Informationen zunimmt. Angesichts dieser Steigerung kann kaum noch von zurückgehaltenen Informationen gesprochen werden. Allerdings zeigt sich ebenso, dass auch die vermehrte Anzahl an Publikationsmöglichkeiten kein Verlassen des vorher festgesteckten hegemonialen Terrains ermöglicht. Zu beobachten ist eine zunehmende Passivierung der Öffentlichkeit und eine Zusammenhangs- und Folgenlosigkeit kritischer Äußerungen. Medientheoretisch umstritten ist weiterhin, welche Bedeutung Information hat. Während in der Selbstbeschreibung der Medien die informationelle Grundversorgung weiterhin ein große Rolle spielt, gehen theoretische Analysen in Anlehnung an Umberto Eco und Stuart Hall davon aus, dass Informationen an sich so gut wie keine Auswirkungen haben, solange ihnen eine alltagspraktische Einbettung, ein kultureller Kontext fehlen – wobei es wiederum die Medien selbst sind, die zu einem nicht geringen Teil eben diesen kulturellen Kontext herstellen. Die Stärke der Alternativen Medien bestand somit trotz informationeller und journalistisch-handwerklicher Schwächen darin, nicht zwischen den Aspekten Information, Kontextualisierung und Vernetzung unterschieden und somit Elemente einer kritischen Gegenerzählung etabliert zu haben.

Verwirklichung des Rückkanal-Theorems: Ging es bei Brecht noch darum, anhand der nicht genutzten technischen Möglichkeiten des Radios aufzuzeigen, inwiefern die Vermachtung eines neuen Massenmediums zur machtförmigen Verknappung der demokratisierenden Potenziale führt, so ist diese Argumentationsweise angesichts der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in gewisser Weise obsolet geworden. Zwar gibt es auch heute ebenso Vermachtungsprozesse neuer Medientechnologien, welche die Spielräume für emanzipative Möglichkeiten verkleinern – wie die Massenmedialisierung des Internets zeigt, aber der Rückkanal als technische Möglichkeit ist längst eingeführt. Auch die Aspekte der angestrebten nicht-hierarchischen Arbeitsteilung und der damit zusammenhängenden ökonomischen und parteipolitischen Unabhängigkeit innerhalb der Projekte der alternativen Medien fungierten – neben ihrer utopischen Rolle, die sie sicherlich auch spielte – als Innovationspotenzial für die postfordistische Umstrukturierung der Produktion – nicht nur im Bereich der Medien. Auf der Ebene der Arbeitsorganisation hat mittels Einführung flacher Hierarchien und flexibilisierter Arbeitszeiten auf der einen und der Abschaffung des reinen Kollektivprinzips auf der anderen Seite eine zunehmende Angleichung stattgefunden. Ebenso haben sich über die Umorganisation der Arbeitsstrukturen und der Arbeitsweisen auch die klassischen Formate gewandelt; eine größere Experimentierfreudigkeit hat in die Redaktionen Einzug gehalten. Selbstausbeutung und ein hoher Identifikationsgrad mit Arbeit und Betrieb waren die betriebswirtschaftlichen Vorteile alternativer Betriebe. Insbesondere im Medienbereich wurden so handwerkliche und materielle Schwächen durch große Innovativkraft ausgeglichen. Indem nun das moderne Management diese ehemaligen alternativen Konzepte – und auch die dazugehörigen, entsprechend hoch motivierten "Seiteneinsteiger" – übernimmt, wird das Konzept der alternativen Ökonomie in seiner Position als praktische Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise selbst überarbeitungsbedürftig.

Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung um Realitätsdeutungen und deren informationelle Grundlagen – einer Arbeit am Diskurs – besteht in jeder gesellschaftlichen Situation, so auch heute. Allerdings, so zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre, ist die kritische Publizistik so weit mit dem jeweiligen sozialen Kontext verwoben, dass Versuche der Vermittlung der reinen Information schnell ins Leere laufen, weil die Bedingungen der Rezeption nicht berücksichtigt werden. Das Modell Alternative Öffentlichkeit als gesellschaftskritisches Konzept kann seine Wirkung nur entfalten, indem es nicht als isolierte Medientheorie, sondern als umfassende Gesellschaftstheorie begriffen wird. Das Konzept Gegenöffentlichkeit ist eine emanzipatorische Praxis, die sich nicht auf Fragen der Medienproduktion und -rezeption begrenzen lässt. In dem Weg von der Analyse der Macht der Manipulateure zur Analyse der Macht der Codes, den die kritische Publizistik der letzten 30 Jahre vollzogen hat, liegt die Selbsterkenntnis gegenüber diesen Prozessen begründet. Eine kritische Publizistik hätte diese Aspekte in ihre Praxis und Theoriebildung zu integrieren. Informationen für sich genommen werden, so kritisch sie auch gemeint sein mögen, unverstanden bleiben, solange sie in keine Erzählung eingebunden sind. In neuen alternativen Öffentlichkeitsmodellen geht es darum, andere Erzählungen über die Gesellschaft zu etablieren.


Dieser Vortrag wurde am 8. November 2001 auf einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Initiative Bremen gehalten. Oy wohnt in Frankfurt und hat 2001 das Buch Die Gemeinschaft der Lüge veröffentlicht. Er ist Mitarbeiter bei com.une.farce.
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